Aline Köstlis BLOG - Besessen von Tagesdaten und Jahreszahlen
Mein erster Kontakt mit dem Tagesdatum geht auf 1996 zurück, als ich in Frankreich meinen ersten Schultag absolvierte. Ich besuchte die erste Klasse, und das Datum stand damals mit weisser Kreide auf die schwarze Wandtafel geschrieben. Schnell wurde es zum festen Bestandteil des Alltags, denn es wurde jeden Tag auf verschiedene Arbeitsblätter und in Übungshefte abgeschrieben. Nach dem Jahreswechsel merkte ich schnell, was es mit der letzten Zahl auf sich hatte, und ich begann interessiert nachzurechnen, wann das Jahr 2000 kommen würde, denn mir war klar, dass sich das 20. Jahrhundert seinem Ende zuneigte.
Im Verlaufe der Zeit wurde mir das Tagesdatum immer wichtiger, und ich begann mein Leben teilweise so stark danach auszurichten, dass ich mir damit selbst im Wege stand. Dies lässt sich an einem Beispiel am besten veranschaulichen: In der dritten Klasse hatten wir mit dem Lehrer eine Wetterstation, und ich lernte, Wetteraufzeichnungen zu machen. Da mich dies faszinierte, wollte ich das Experiment Zuhause weiterführen. Ich wünschte mir zum Geburtstag sogar extra einen Regenmesser. Doch dann stellte sich die Frage, an welchem Tag bzw. Datum die Wetteraufzeichnungen beginnen sollten. Ich erstellte eine Tabelle, auf welcher der erste Messtag ein Montag und gleichzeitig der 1. Tag eines Monats war. Für mich war klar, dass das Experiment einen sauberen Anfang brauchte, also musste der erste Wochentag auf den ersten Tag eines Monats fallen. Nur traf das nie dann ein, wann ich vorhatte, mein Experiment durchzuführen, so dass es nie zu den geplanten Wetteraufzeichnungen kam. Dies frustrierte mich sehr, und ich ärgerte mich über die Unregelmässigkeiten unseres Kalenders. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, etwas so Wichtiges wie Wetteraufzeichnungen an einem beliebigen „gewöhnlichen“ Tag beginnen zu lassen, so dass ich das Projekt meiner Meinung nach „gezwungenermassen“ aufgeben musste.
Wie ich loslassen kann
Auch heute noch messe ich den Tagesdaten viel Wichtigkeit bei. Einige empfinde ich als besonders schön, weil sie für mich eine gewisse Symmetrie aufweisen wie z.B. 16.11.16, andere empfinde ich als bunt, weil sie alle Zahlen von 0 bis 5 beinhalten wie z.B. 23.05.14. Und auch heute noch stehe ich mir manchmal selbst im Wege, wenn ich eine neue Gewohnheit in mein Repertoire aufnehmen oder eine Veränderung vornehmen möchte, und es herauszögern muss, weil ich auf den passenden „Stichtag“ warten muss. Dies passiert jedoch immer seltener, denn seit dem Extrembeispiel aus meiner Kindheit sind viele Jahre vergangen, und ich habe gelernt, mit meiner Fixierung auf Tagesdaten besser umzugehen.
Wenn ich merke, dass ich drohe, mein Leben zu sehr nach Tagesdaten auszurichten, hilft mir persönlich, wenn ich den Kalender relativiere. Dazu rufe ich mir in Erinnerung, dass je nach Kultur unterschiedliche Kalender benutzt werden und unser gregorianischer Kalender bei weitem nicht das Mass aller Dinge ist. Ausserdem ist er menschengemacht, sprich, er kann gar nicht perfekt sein. Wer bin ich also, um sowas von ihm zu verlangen? Weiterhin ist der Beginn der Zeitrechnung für mich ohnehin irrelevant, weil ich gar nicht dem Christlichen Glaube angehöre. Rufe ich mir all diese Überlegungen ins Gedächtnis, verliert der heutige Kalender in meinen Augen sofort seinen Glanz, und seine Zahlen erscheinen mir wieder neutraler, wie dies bei Autoschildern oder Telefonnummern der Fall ist. Das Tagesdatum auf diese Weise zu relativieren, wirkt meinem Drang entgegen, mein ganzes Leben danach ausrichten zu müssen. Ich muss zwar noch an mir arbeiten, aber es gelingt mir immer öfter, die Tagesdaten und die Jahreszahlen einfach loszulassen und als das zu betrachten, was sie wirklich sind: Zahlen, die dazu dienen, die Zeit zu messen und Ereignisse in richtiger Reihenfolge festzuhalten. Mehr nicht.
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